Amerikanisches Recht und dessen Anwendung durch einen deutschen Rechtsanwalt – insbesondere im Erbrecht und Familienrecht
In einer globalisierten Welt sind internationale Familien- und Erbsachen keine Seltenheit mehr. Besonders häufig treten Konflikte zwischen deutschem und US-amerikanischem Recht auf – etwa bei binationalen Ehen, internationalen Sorgerechtsstreitigkeiten oder wenn ein deutscher Staatsbürger in den USA verstirbt. Das US-Recht unterscheidet sich dabei grundlegend vom deutschen Recht, sowohl in seiner Struktur als auch in der praktischen Anwendung. Für deutsche Rechtsanwälte, die in solchen Fällen beraten oder vermitteln, ist daher fundiertes Wissen über das amerikanische Familien- und Erbrecht unerlässlich – auch wenn sie das US-Recht selbst nicht anwenden dürfen.
1. Grundlagen des US-amerikanischen Rechtssystems
Das US-Recht basiert auf dem Common Law, während das deutsche System dem kontinentaleuropäischen Zivilrecht folgt. Im Common Law spielen richterliche Entscheidungen (Case Law) eine zentrale Rolle. Zudem ist das Recht in den USA föderal organisiert – jeder Bundesstaat hat eigene Gesetze und Gerichte. Gerade im Erb- und Familienrecht ist die Gesetzgebung primär Sache der Bundesstaaten, sodass sich die Regelungen erheblich von Staat zu Staat unterscheiden können.
Für deutsche Rechtsanwälte bedeutet das: Sie müssen bei jedem Fall genau prüfen, welches US-amerikanische Bundesrecht oder einzelstaatliche Recht Anwendung findet und ob dieses mit dem deutschen Recht kollidiert.
2. Die Rolle des deutschen Rechtsanwalts im US-Kontext
Ein deutscher Anwalt darf nicht als Rechtsanwalt in den USA auftreten, es sei denn, er besitzt eine dortige Zulassung. Dennoch kann er eine bedeutende Rolle spielen:
- Beratung deutscher Mandanten mit familiären oder erbrechtlichen Verbindungen in die USA
- Zusammenarbeit mit US-Anwälten, etwa bei der Nachlassabwicklung oder bei internationalen Scheidungsverfahren
- Rechtsvergleichung und Risikoanalyse, z. B. zur Frage, welches Recht Anwendung findet
- Koordination grenzüberschreitender Verfahren, insbesondere bei internationalen Erbschaften oder Sorgerechtsfällen
3. Amerikanisches Erbrecht – Unterschiede und Anwendung
A. Nachlasssystem in den USA
In den USA wird der Nachlass in der Regel über ein gerichtliches Verfahren abgewickelt, das „probate“ genannt wird. Dieses Verfahren dient der Feststellung des Testaments, der Begleichung von Schulden und der Verteilung des Vermögens. In vielen Bundesstaaten ist dies relativ aufwendig und kann Monate oder sogar Jahre dauern.
Ein deutscher Anwalt wird häufig hinzugezogen, wenn:
- ein deutscher Staatsbürger in den USA verstirbt,
- ein Erblasser Vermögen in den USA hinterlässt (z. B. ein Haus in Florida oder ein Bankkonto in New York),
- oder deutsche Erben mit US-Nachlass konfrontiert sind.
B. Testierfreiheit und Pflichtteil
Im Unterschied zu Deutschland, wo das Pflichtteilsrecht stark ausgeprägt ist, kennen viele US-Bundesstaaten keine strengen Pflichtteilsregelungen. Zwar gibt es Schutzvorschriften für Ehepartner (z. B. „elective share“), aber Kinder können unter bestimmten Voraussetzungen enterbt werden.
Ein deutscher Anwalt muss also sorgfältig prüfen, ob und inwiefern deutsches Pflichtteilsrecht anwendbar bleibt – z. B. über Art. 21 der EU-Erbrechtsverordnung – oder ob amerikanisches Recht zur Anwendung kommt.
C. Internationales Erbrecht und Nachlassspaltung
Ein klassisches Problem: Ein deutscher Mandant verstirbt mit Immobilienvermögen in den USA. Dann kommt es häufig zur Nachlassspaltung, also zur Anwendung unterschiedlicher Rechtsordnungen: Auf das bewegliche Vermögen kann deutsches Erbrecht anwendbar sein, auf das unbewegliche Vermögen in den USA jedoch das Recht des jeweiligen Bundesstaates.
Ein deutscher Anwalt kann die Nachlassplanung koordinieren, etwa durch:
- Anregung eines Testaments nach US-Recht
- Errichtung eines Living Trusts (lebzeitige Vermögensübertragung zur Vermeidung des Probate)
- Zusammenarbeit mit einem US-Anwalt für die lokale Nachlassabwicklung
4. Amerikanisches Familienrecht – Herausforderungen für deutsche Anwälte
A. Scheidung und Unterhalt
Das amerikanische Familienrecht unterscheidet sich stark vom deutschen, vor allem was Scheidungsverfahren und Unterhaltsfragen betrifft. Jeder US-Bundesstaat hat eigene Regeln für:
- Scheidungsvoraussetzungen (z. B. Trennungszeit, Verschuldensprinzip oder „No-Fault Divorce“)
- Vermögensaufteilung (z. B. „community property“ vs. „equitable distribution“)
- Kindesunterhalt und Ehegattenunterhalt
Ein deutscher Anwalt kann z. B. tätig werden, wenn:
- ein in Deutschland lebender Ehepartner sich von einem in den USA lebenden Partner scheiden lassen will,
- deutsches und amerikanisches Recht in einem Ehevertrag kollidieren,
- Fragen zur internationalen Zuständigkeit und zur Anerkennung von Urteilen geklärt werden müssen.
B. Sorgerecht und internationales Familienrecht
Gerade im internationalen Sorgerecht lauern erhebliche Risiken. Das zentrale Instrument hierbei ist das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ). Sowohl Deutschland als auch die USA sind Vertragsstaaten. Es regelt die Rückführung von Kindern, die von einem Elternteil ins Ausland verbracht wurden.
Ein deutscher Anwalt kann bei HKÜ-Verfahren helfen, indem er:
- die rechtlichen Voraussetzungen für einen Rückführungsantrag prüft,
- deutsche Unterlagen aufbereitet,
- mit einem US-Anwalt zusammenarbeitet, der das Verfahren in den USA führt.
5. Koordinierung und Zusammenarbeit mit US-Kollegen
In fast allen Fällen mit US-Bezug ist eine Zusammenarbeit mit einem amerikanischen Anwalt unerlässlich. Der deutsche Anwalt übernimmt dabei:
- die Koordination des Mandats,
- die Kommunikation mit dem Mandanten in deutscher Sprache,
- die rechtliche Bewertung des deutschen Teils der Angelegenheit,
- sowie gegebenenfalls die Gutachtenerstellung zu deutschem Recht für ein US-Gericht.
Diese transatlantische Kooperation ist insbesondere bei Erbschaften mit Immobilienbesitz in den USA oder bei Sorgerechtsfragen essenziell.
6. Internationale Zuständigkeit und Rechtswahl
Ein weiteres komplexes Thema ist die Frage, welches Recht Anwendung findet. Im Erbrecht greift hier in der EU die Europäische Erbrechtsverordnung (EU-ErbVO), während in den USA keine vergleichbare Harmonisierung existiert. Im Familienrecht spielt zudem das IPR (Internationales Privatrecht) eine große Rolle – etwa bei Ehen, die in den USA geschlossen wurden, aber in Deutschland geschieden werden sollen.
Der deutsche Anwalt hat hier die Aufgabe, die Zuständigkeit und das anwendbare Recht zu prüfen und mögliche Strategien mit dem US-Kollegen zu entwickeln.